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Willkommen auf dem Blog der Bücherei Alstaden

Die Katholische öffentliche Bücherei St. Antonius



ist die einzige öffentliche Bücherei im Ortsteil Alstaden von Oberhausen (Rheinland) mit etwa 22000 Einwohnern.

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4. September 2010

Gedicht des Monats SEPTEMBER 2010

Das  Gedicht des Monats soll anregen, laut zu lesen und am besten auswendig zu lernen.
Jeden Monat stellen wir ein Gedicht vor, passend zur Jahreszeit oder Ereignissen des Monats.

Zum Verständnis ist ein Kommentar beigefügt.


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An eine Äolsharfe

Angelehnt an die Efeuwand
Dieser alten Terrasse,
Du, einer luftgebornen Muse
Geheimnisvolles Saitenspiel,
Fang an,
Fange wieder an
Deine melodische Klage!

Ihr kommet, Winde, fern herueber,
Ach! von des Knaben,
Der mir so lieb war,
Frisch gruenendem Huegel.
Und Fruehlingsblueten unterweges streifend,
Uebersaettigt mit Wohlgeruechen,
Wie suess bedraengt ihr dies Herz!
Und saeuselt her in die Saiten,
Angezogen von wohllautender Wehmut,
Wachsend im Zug meiner Sehnsucht,
Und hinsterbend wieder.

Aber auf einmal,
Wie der Wind heftiger herstoesst,
Ein holder Schrei der Harfe
Wiederholt, mir zu suessem Erschrecken,
Meiner Seele ploetzliche Regung;
Und hier - die volle Rose streut, geschuettelt,
All ihre Blaetter vor meine Fuesse!


Eduard Mörike

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Über das Gedicht "An eine Äolsharfe" von Eduard Mörike

Der schwäbische Dichter Eduard Mörike lebte von 1804 bis 1875. Als evangelischer Pfarrerssohn und seit 1834 selbst mit einer Pfarrstelle versehen, hatte er eine noch klassische humanistische Bildung genossen. Daher bestimmen Motive und Rhythmen aus der antiken Lyrik sein poetisches Schaffen.
Im Zeitalter der Romantik, wo die Dichtung der Musik und Natur ebenso viel abzulauschen trachtete als den klassischen Vorbildern, wird auch die Äolsharfe beliebt. Sie ist ein Saiteninstrument, das durch den freien Strom der Luft erklingt. In Bäumen, an Fenstern oder anderen lufigen Orten findet sich dies Instrument. Ihr Klang ist ebenso zart wie erdenfern - ätherisch wurde solch eine Empfindung genannt. Da hier Musik nicht von Menschenhand und Menschenatem erzeugt, sondern aus dem Wehen der Natur entsteht, ist die Äolsharfe Sinnbild eines göttlichen Lautes und Atmens.

Zu Beginn wird der Grundton des Instruments, und damit des Gedichts angezeigt: "Fange wieder an / Deine melodische Klage!" Mörike bindet die Anrufung dieses Klanges an Geruchs- und Sehempfindung. In der Mitte des dreistrophigen, reimlosen Gedichts steht die Zeile "Uebersaettigt mit Wohlgeruechen".
Daneben die Bilder des "Frisch gruenende Huegel" und der sich entblätternden Rose.
Das zentrale Motiv des Gedichts ist die Trauer und ein süß empfundener Schmerz. Alle Sinnesempfindungen und alle entfernten Pole des Elegischen sind versammelt: Stille und Schrei, frisch grünend / Frühling und abgelebt herbstlich, Süßigkeit und Bitterkeit, alt (Terrasse) und jung (Knabe), Sehnsucht und Erschrecken, Efeu und Rose. Darin mischt Mörike mit meisterlichem Geschick ebenso Klage und Betrachtung wie die antike Form der Elegie mit romantischen Empfindungen.
Die Winde bedrängen süß das Herz. Sie kommen dem Dichter vom Grabhügel eines Knaben herüber. Sie wurden "Angezogen von wohllautender Wehmut", also offenbar durch das elegische Wort des Dichters - er hat sie gerufen, wie er die Äolsharfe anruft und das Wiederbeginnen ihres Klangs beschwört. Dichterstimme und Windes-Äolsklang tönen so zusammen, "Wachsend im Zug meiner Sehnsucht, / Und hinsterbend wieder".
Mit der dritten Strophe wird dieser quasi "Naturprozess" der Klage abgebrochen. Ein heftiger Windstoß erregt die Harfe/das Herz - ein Schrei, der als Wiederholung der plötzlichen Seelenregung begriffen ist. Das An- und Abschwellen des Tons erfährt nun ein Ende, mündet in ein Stillleben: die "volle Rose", welche "all ihre Blätter vor meine Füße streut". Zu Füßen liegende Blütenblätter als Zeichen der Blütenfülle, die Rose, die den Efeu der ersten Zeile ablöst, als Zeichen der Liebe. Während der Efeu von je ein Trauergewächs und Sinnbild von Ewigkeit und Weltabschied ist, steht die Rose für eine Weltenfülle und vollen Lebensgenuss. In den letzten Zeilen ist sie bei Mörike jedoch paradox verwendet: sowohl als "volle Rose" bezeichnet als auch zum Bild der vor die Füße gestreuten Blätter zugleich leblos, abgelebt gezeichnet. Mit dieser Schlussstrophe wird die den klassisch antiken Topoi der Elegie verpflichteten Form (Efeu, Hügel, Knabe, fernes Wehen des Windes etc.) in ein romantisches Bild gewendet. Wir könnten uns denken, Mörikes Jugend selbst wird hier betrauert, als auch die Liebes- und Lebenskraft, die in der Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts so hart umkämpft und von politischen Verhältnissen oft gedämpft und abgetötet wurde. Verfasst Mörike hier also einen Abgesang auf das schöne Glück privater Existenz?
Mörikes Vorbild Horaz, dessen lateinische Verse aus eine Ode er vorangestellt hat, preist nun gerade in jener Ode die von Augustus befriedete Welt. Mörike, der noch bis in die Nachkriegszeit als Typus des biedermeierlich verträumten Poeten gesehen wurde, hat - auch nach neuerer Forschung - mehr mit romantische Ironie und Zeitgeschichte zu tun, als uns die Schulweisheit träumen machen wollte. Dennoch achten viele Leser weiterhin auf die leisen Töne, auf die Klage der Äolsharfe und erfreuen sich des Klangs und der schwebenden Sprachkraft dieses Dichters, "übersättigt mit Wohlgerüchen".

Tu semper urges flebilibus modis
Mysten ademptum: nec tibi Vespero
Surgente decedunt amores,
Nec rapidum fugiente Solem.
(Horaz, Oden II.9, v9-12)


Helmut Krebs, M.A.




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